Vom Erkennen

Heute schreibe ich dir, weil mich etwas beschäftigt von dem ich dir erzählen möchte. In den letzten Monaten ergreift mich immer und immer wieder eine tiefe Traurigkeit. Ich bin traurig über die Menschen, über ihre Gesinnungen, darüber was sie tun, wer entscheidet und über wen entschieden wird.

Ich bin traurig über die Entwicklungen auf der Erde. Über all das Leid und den Kampf, der irgendwie an allen Ecken tobt. Es macht mich traurig zu sehen, wie Menschen herabgewürdigt, übergangen und gedemütigt werden. Ich werde nicht auf die einzelnen Situationen eingehen, denn es ist für mich einfach in der Gänze sichtbar. Die Situationen sind nur ein Ausdruck dessen.

Und manchmal fehlt mir tatsächlich die Aussicht auf eine bessere Zeit. Ich habe aufgehört mich zu beschwichtigen, mir Positives zu sagen, nach dem Motto: Das wird schon, alles ist im Wandel, bla bla. Ich höre auf mich immer wieder aufzurichten. Manchmal hilft es sich fallen zu lassen. In diese Traurigkeit. Weltschmerz nannte das meine Mama. Und es stimmt. Mir schmerzt die Welt.

Fallen lassen also, aber nicht um zu. Nicht zu einem Zweck. Also nicht um dann wieder aufstehen zu können. Fallen lassen um des Fallens Willen. Ganz weich werden. Hineinsinken. In den Schoß der Traurigkeit. Seufzen. Ausatmen.

Weißt du, was mich noch traurig macht? Manchmal auch ein bisschen wütend. Es macht mich traurig zu sehen, wie Menschen verkaufen. Dinge oder Veränderungen anpreisen. Verkaufen auf allen Ebenen. Über die Angst – wenn du jetzt nicht meine Hilfe in Anspruch nimmst… Über die Unzulänglichkeit – du wirst es alleine nicht schaffen… Über den Schein der Ehrlichkeit – meine Geschichte ist soundso… und so weiter. Ich bin auf viele Strategien schon rein gefallen. Und ich gebe zu ich habe einige selbst probiert anzuwenden. Ich dachte, dass das geht.

Und heute dachte ich, wirklich aus den Tiefen meines Bewusstseins, ich schreibe dir einfach einen Brief. Einfach so. Ohne etwas anzupreisen. Und während ich das dachte, kommt da tatsächlich ein Gedanke hinzu der sagt: „Ja, genau, und über diese Offenheit kannst du ihnen etwas verkaufen.“ Puh. Erwischt. Ich habe ihn erkannt. Ich habe den Gedanken, der mich lenken will erkannt. Entlarvt. Er lenkt mich ab von meinem wahren Bedürfnis, nämlich dir einfach zu schreiben. Er trübt mein Bedürfnis. Und natürlich trübt er Offenheit und Ehrlichkeit.

Weißt du, ich glaube, dass Selbstreflexion echt wichtig ist. Für mich ist es wichtig. Für mich und für viele andere auch. Ich gehe gerne in mich, reflektiere, analysiere, sortiere. Ich spüre zu mir. Ich höre zu mir. Meinen Bedürfnissen zu folgen, das bin ich noch am üben. Dennoch ist meine Muster zu erkennen ein wichtiges Werkzeug um mich zu entwickeln. Nichts finde ich langweiliger und unsexier als dumpf vor sich hin zu leben und Veränderung einfach zu übergehen. Ich glaube, dass bei sich selbst zu beginnen der erste Schritt ist. Bei sich selbst zu beginnen um vielleicht näher zu sich zu kommen. Sich mehr zu mögen. Sich mehr zu leben.

Für mich selbst geht es vielleicht gar nicht darum ich selbst zu werden. Für mich geht es auch gar nicht so sehr darum bedingungslose Liebe zu lernen. Das kann ich recht gut. Ich sehe in meine Augen und sehe das Universum. Ich sehe in deine Augen und tauche hinein in deine Tiefe, in den See, den der große Geist in dir, durch dich angelegt hat. Ich bin die Ewigkeit und für immer geliebt. Das ist klar.

Für mich geht es mehr darum eine Liebe zu lernen, zu finden, die auf Begegnung und möglicherweise auch auf Bedingungen beruht. Darin bin ich nicht so gut. Davor fürchte ich mich immer noch mehr oder weniger stark. Ich versuche irgendwie zu sein um von meinem Gegenüber geliebt zu werden. Ich versuche so zu sein, dass du mich lieben kannst. Das ist selbst auferlegt, gelernt, trainiert. Das zehrt mich aus, macht mich traurig und wütend. Das habe ich erkannt. Das darf sich verändern.

Für mich geht es vielleicht gar nicht so sehr darum ich selbst zu werden. Für mich geht es darum einen übergeordneten Blick zu haben. Für mich geht es darum mit meinem Beispiel voran zu gehen. Für mich geht es darum aufzuzeigen, wo es hängt. Für mich geht es darum zu heilen. Eine bessere Welt mit zu gestalten. Für Menschen. Für Pferde. Für das Natürliche in uns.

Und diese Welt beginnt in mir. Ich fang bei mir an. Fang du bei dir an.
Alles Liebe – Verena

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