Flucht – oder Furcht?

Ich habe kürzlich dieses Buch gelesen: „Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“. Es berührt mich sehr. Harold, ein Mann so sanft wie eine Feder und zart wie der leise Duft von Vanille. Und doch völlig geerdet und mit beiden Beinen in der Ewigkeit verankert. Irgendwie.

Ich weiß gar nicht ob er das selbst weiß. Seine Geschichte ist so berührend. Seine Geschichte ist so verletzt. Sein Herz ist so viele Male gebrochen und doch trägt ihn eine Leichtigkeit. 1000 Kilometer zu Fuß.

Und ich frage mich was hat das alles mit mir zu tun? Warum berührt es mich so sehr?

Zum einen ist es glaube ich die zärtliche Sprache der Autorin, die mich hinfort trägt auf ihren Wogen, zum anderen aber auch das Laufen. Das Gehen. Das Einfach Gehen. Das Haus verlassen und sich spontan zum Gehen entscheiden. Eigentlich eine Flucht aus dem bestehenden Alltag. Aus dem Zustand der Apathie. Aus dem Leersein (nicht gleichzusetzen mit der Leere).

Die Flucht. Ich möchte fliehen. Geistig bin ich ständig abwesend, weil mir geistige Anwesenheit unerträglich erscheint. Also schicke ich meinen Geist auf Reisen. Er erkundet ferne Sphären des Universums, während ich hier meines Daseins friste. Seltsames Bild oder? Mein Körper wandelt im Hier und Jetzt und mein Geist ist völlig woanders unterwegs.

Ehrlich gesagt kommt mir das bei vielen Menschen so vor. Aber das ist nicht Thema.

Momentan ist es echt heftig bei mir. Ich würde mich am liebsten den ganzen Tag nur hinsetzen, denken und ab und zu schreiben. Nicht reden. Sonst nicht viel tun. Nur sinnieren. Wandeln in den geistigen Welten, irgendwo im Abseits.

Dann sehe ich meine Kinder und mich plagt ein schlechtes Gewissen. Wie kann ich ihnen das nur antun? Sie bemühen sich, dass ich sie sehe. Sie schreien, kreischen, hopsen, springen. Und ich gebe mir Mühe mich hier zu halten, so dass sie sich gesehen fühlen. Aber es reicht nicht glaube ich. Ich bin traurig. Ich glaube was ich gebe reicht nicht. Und doch ist es alles was ich im Moment geben kann. Mehr ist gerade nicht drin. Ich schaffe es nicht. Mir fehlt die Kraft. Ich bin müde.

Aber hatte ich nicht gesagt, der Weg hinaus führt manchmal hinein?

Vielleicht stimmt das auch. In Harolds Fall erschien es so, dass ihn die scheinbare Flucht zutiefst in seine eigene Dunkelheit geführt hat. In all die verborgenen Schmerzen und Schätze. Und vielleicht ist das oft so.

Vielleicht führt uns die Flucht direkt hinein. Zurück ins Dickicht.

Aber wir haben eine neue Sicht der Dinge erlangt, weil wir es durch die Flucht, durch das heraus treten aus dem Zustand, durch das Gehen geschafft haben, die Augen zu schließen, wieder zu atmen und er-neu-er/t zu sehen.

Beim nächsten Augenaufschlag hatte sich die Sicht der Dinge von ganz allein geändert.

Was bleibt ist der Schmerz. Tief. Und herzzerreißend.

Und das ergibt schon wieder ein neues Thema. …